Am Grab eines Freundes, oder: Immengarten sind keine Birnen mehr

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Heute habe ich einen kleinen Hausfriedensbruch begangen: Ich habe ohne zu fragen wieder mal den Garten des Hauses betreten, in dem ich vom zweiten bis zum 19. Lebensjahr gewohnt habe. Dort stand früher ein mächtiger Birnbaum, von dem ich als Kind annahm, er reiche bis in den Himmel. Er war für mich so etwas wie mein persönlicher Dunkler Turm, das Zentrum meines kindlichen Universums. So gewaltig war der Baum, dass er den gesamten Garten abschattete und dort deswegen der Rasen zum Leidwesen des Hausmeisters nur recht kümmerlich wuchs. Das machte er durch die jedes Jahr reichlich gelieferten Birnen mehr als wett. Und als meine Mutter mir beibringen wollte, wie unsere Straße heißt, spielte der Birnbaum ihr einen Streich. Immer, wenn sie mir vorsprach: “Immengarten!”, bekam sie von mir zur Antwort: “Sind Birnen!” Nach unserem Umzug ins eigene Haus hatte ich immer mal wieder vor, den Baum zu besuchen. Aber ich kam zu spät. Man hatte ihn gefällt, ich fand nicht mal mehr den Stumpf vor. Dafür gedeiht jetzt der Rasen. *schnüff*

Kämpfe den guten Kampf des Glaubens

Vorhin im Stadtbus: Ein frisch Eingereihter erzählt einer Gruppe von Freikirchlern von seiner Bekehrung. “Vergiss nicht, täglich zu beten.” sagte eine der Frauen zu ihm, in Gedanken schon halb nicht mehr bei ihm, als sie ausstieg. Vergiss nicht, dass Gott dir ein Hirn gab, dachte ich. Bevor ich mich durchringen konnte, es auszusprechen, stieg der junge Mann ebenfalls aus. Allerdings nicht am Philosophenweg.

Oma

Oma_edited15. August 2013. Heute vor 30 Jahren saß ich über meinen Hausaufgaben und hörte meine Mutter nebenan im Wohnzimmer telefonieren. “Hatte sie denn keine Medikamente mehr?” hörte ich sie fragen und ganz nüchtern deduzierte mein Verstand: Oma ist tot. Das war eine rein logische Schlussfolgerung. Gefühlt hab ich in dem Moment nichts. Überhaupt nichts. Das kam erst später und ist eigentlich auch noch immer nicht vorbei.

Meine Großmutter mütterlicherseits war manisch-depressiv. Die letzten Jahre waren auch für uns als ihre Familie nicht einfach. Schließlich hat sie ihr Leben selbst beendet, und zwar auf eine Art, die zweifellos eine grauenhafte Entschlossenheit erfordert, um sie bis zum Ende durchzuführen.

Bevor sie krank wurde, war meine Großmutter eine resolute, lebenslustige und weltgewandte Frau. Nachdem sie das Haus ihrer Mutter geerbt hatte, zog sie mit ihrem Mann von Wuppertal nach Sehlem. Das muss ungefähr 1976 gewesen sein. Ich glaube, der Umzug von der Großstadt ins graue Dorf am Ende der Welt hat ihr nicht gutgetan. Aber was letztlich die Ursache für ihre Erkrankung war, was so finster war, dass sie schließlich den Freitod wählte, können wir nur vermuten. Diese Vermutungen möchte ich hier nicht wiedergeben.

Eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen ist, wie ich mit sechs oder sieben Jahren mal ganz allein zu ihr gefahren bin, den ganzen Weg vom Ostbahnhof in Hildesheim mit dem Akkutriebwagen bis nach Bodenburg und dann weiter mit dem Bus nach Sehlem. Und als ich in die Küche kam, stand Oma grad vom Sofa auf – sie hatte die Gartenpforte gehört – und freute sich und es gab Heidesand zum Einstippen. Es hätte auch anders sein können, denn anrufen konnte man vorher nicht, sie hatte kein Telefon.

Und noch heute sitze ich, wenn es gewittert und ich die Augen zumache, wieder mit Oma in der offenen Garage und futtere frischgepflückte Kirschen. “Oma, jetzt hab ich Durst!” – “Auf Steinobst darf man nichts trinken.” – “Warum nicht?” – “Dann werden die Kirschen im Bauch ganz groß und du platzt.” Geglaubt hab ich das ja nicht so richtig. Getrunken aber vorsichtshalber auch nichts.

Meine wohl letzte Erinnerung an sie ist, dass sie meinen Bruder und mich aus dem Kofferraum des Autos meiner Eltern befreite, in den ich uns versehentlich eingesperrt hatte. Da war sie schon ziemlich am Ende, sprach kaum, bewegte sich hölzern und wirkte wie hinter Glas.

Ich erinnere mich auch und vor allem, dass ich, Kind das ich war, ziemlich unwirsch darauf reagierte, wenn sie mir melancholisch übers Haar strich. “Lass das, Oma!” Vielleicht war es die instinktive Abwehr des Kindes gegen den seelischen Abgrund, der sich neben ihm auftut und in den es nicht gerissen werden will. Vielleicht war es auch einfach nur gemein von mir. Womöglich ein wenig von beidem. Darüber bin ich mir bis heute noch nicht klar.

Zur Beerdigung haben meine Eltern uns nicht mitgenommen. Sie fanden, wir seien für sowas noch zu klein und hatten wahrscheinlich auch recht. Noch Jahre nach ihrem Tod meinte ich immer wieder, sie gesehen zu haben oder dachte, wenn wir nach Sehlem fuhren: Wir fahren zu Oma. Ach… Nein. Sie ist ja nicht mehr da.

Oma hatte immer “Bolschen” in der Tasche, bis zuletzt. Und auch in der Keksdose im Wohnzimmer gab es stets welche. Als ihr Mann viele Jahre später starb und wir den Haushalt auflösten, habe ich diese 50er-Jahre Keksdose von Tchibo an mich genommen. Darin verwahre ich heute die Gummibärchen für meine Nichte. Einstippen hat das Kind schon von seiner Oma gelernt.

Wenn alles gutgeht, wird meine Nichte noch dieses Jahr eine andere Uroma kennenlernen. Das erfüllt mich mit Freude, aber auch mit großer Wehmut, dass die, von der hier die Rede ist, das nicht mehr erleben kann. Ich glaube, die beiden hätten sich gut verstanden und ich hätte es beiden so gegönnt. Aber diese Oma ist vor 30 Jahren einen anderen Weg gegangen und wir müssen immer noch damit klarkommen.

Ich vermisse sie.

“Wir melden uns”

Heute erhielt ich eine Absage bezüglich einer Stelle in Hannover. Das war eine der Kanzleien, in denen ich wirklich sehr gerne gearbeitet hätte. Vor einiger Zeit hatte ich mich dort schon einmal beworben und war daher hocherfreut, als ausgerechnet dort wieder jemand gesucht wurde.

Umso erfreuter war ich, als der Rechtsanwalt persönlich mich Ende November auf meinem Handy anrief und meinte, er würde gerne dort weitermachen, wo wir beim letzten Mal aufgehört hatten. Im Klartext hieß das, das Vorstellungsgespräch zu überspringen und direkt zum Probearbeiten überzugehen. Bezahlt wurde das nicht. Auch meine damalige Noch-Arbeitgeberin sah verständlicherweise nicht ein, dass dies auf ihre Kosten gehen sollte. Die zwei vollen Arbeitstage, für die ich Anfang Dezember nach Hannover fuhr, arbeitete ich folglich an meinem Noch-Arbeitsplatz bis auf die letzte Minute nach. Ebenso gingen die Fahrkosten auf mich. Aber was tut man nicht alles, wenn man einen Job wirklich gerne haben möchte.

Als ich am Ende des zweiten Probearbeitstages vorsichtig nach der zu erwartenden Entlohnung fragte, antwortete mir der Chef, das habe er “noch gar nicht durchgerechnet”.

Am 11. Dezember 2012 erhielt ich die Nachricht, dass es aufgrund der anstehenden Feiertage und des einhergehenden Urlaubs nicht möglich sei, noch in diesem Jahr eine Entscheidung zu treffen. Man wolle sich Anfang Januar bei mir melden.

Man meldete sich indes nicht Anfang Januar bei mir. Man meldete sich heute, am 13. August, bei mir:

“In der genannten Angelegenheit möchten wir uns für das angenehm verlaufene Vorstellungsgespräch sowie für Ihr Probearbeiten in unserer Kanzlei bedanken.

Jedoch haben wir uns zwischenzeitlich für eine anderen Bewerber entschieden.

Wir wünschen Ihnen für Ihren beruflichen Werdegang alles Gute.

Ihre Berwerbungsunterlagen (sic!) haben wir vernichtet.“

Ach ja, es handelt sich übrigens um einen Arbeitsrechtler.

Dünne

Eine späte Replik auf Marius Müller-Westernhagen, den ich ich Übrigen sehr schätze.

Ich bin froh, dass ich kein Dünner bin
Denn dünn sein is ne Quälerei
Ich bin froh, dass ich so ‘n fetter Brocken bin
Denn dick bedeutet frei zu sein

Mit Dünnen macht man gerne Späße
Dünne werden ständig übersehen
Für Dünne gibt’s nichts anzuziehn
Dünne sind zu dünn zum Stehn

Dünne haben schrecklich dünne Stelzen
Dünne ham kein Doppelkinn
Dünne zittern wie die Espen
Kotzen, würgen vor sich hin

Und darum bin ich froh, dass ich kein Dünner bin
Denn dünn sein ist ‘ne Quälerei
Ja, ich bin froh, dass ich so ‘n fetter Brocken bin
Denn dick bedeutet frei zu sein

Dünne haben immer Hunger
Dünne haben keinen Po
Und von den ganzen Abführmitteln
Rennen Dünne oft aufs Klo

Und darum bin ich froh, dass ich kein Dünner bin
Denn dünn sein ist ‘ne Quälerei
Ja, ich bin froh, dass ich so ‘n fetter Brocken bin
Denn dick bedeutet frei zu sein

Dünne müssen ständig fasten
Damit sie bloß nicht dicker werden
Und ham sie endlich zehn Pfund zugenommen
Ja, dann kann man es noch nicht mal sehn

Dünne ham’s so schrecklich schwer mit Frauen
Denn Dünne sind nicht angesagt
Drum müssen Dünne auch Karriere machen
Mit Kohle ist man auch als Dünner gefragt

Und darum bin ich froh, dass ich kein Dünner bin
Denn dünn sein ist ‘ne Quälerei
Ja, ich bin froh, dass ich so ‘n fetter Brocken bin
Denn dick bedeutet frei zu sein

Dünne, Dünne, Dünne, Dünne, Dünne, Dünne, Dünne,
Dünne, Dünne, Dünne, Dünne, Dünne, Dünne, Dünne,
Dünne, Dünne, Dünne, Dünne, Dünne, Dünne, Dünne,
Dünne, Dünne, Dünne, Dünne, Dünne, Dünne, Dünne,

Na, du Schmachthaken?

Der Sportplatz

Die Pflege des Sportplatzes hinter meiner Schule hat letztlich etwas nachgelassen. Der Platz ist ziemlich verwildert und hat eine schon fast lovecraftsche Ausstrahlung im Licht des Sommerabends. Mir könnte das an sich ja herzlich gleichgültig sein, war ich doch von jeher eine ausgesprochene Niete im Sport und die Nemesis meiner Sportlehrer seit Grundschultagen. Das churchillsche “No Sports!” war mein Wahlspruch. Das ging so weit, dass ich, als wir in der Oberstufe im Kunstunterricht das Thema “Sport” zugewiesen bekamen, mein Schachbrett zum Motiv erwählte – unter Verweis darauf, dass Schach das einzige international als Sportart anerkannte Brettspiel ist. Sogar mein Abitur wäre ums Haar an einer mit null Punkten nicht erfüllten Belegverpflichtung gescheitert. Dem Vorsatz, ums Verrecken nie wieder eine Sporthalle oder einen Sportplatz zu betreten, bin ich bis heute treu geblieben. Sportstätten waren eine Art Vorhölle für mich, Stätten permanenten Versagens und Orte steter Demütigung. Manche der Erinnerungen an dieses Fach bringen mein Blut heute noch zum Sieden.

Gleichwohl verbindet sich ausgerechnet mit dem Sportplatz eine der besten Erinnerungen an meine Schulzeit überhaupt. Das war in der Mittelstufe, in den späten 80ern. In welcher Klasse genau und bei welchem Sportlehrer das war, hab ich vergessen.

Es ging darum, dass jeder mindestens einmal 2000 Meter gelaufen sein musste. Theoretisch auch in einer bestimmten Zeit, die “objektiv altersgemäß” vorgegeben war. Nach und nach hatten alle anderen Jungs diese Verpflichtung erfüllt, bis schließlich nur noch ich übrig war. Und ich wusste genau, ich hatte schon ein Problem damit, die Runden überhaupt zu Ende zu laufen. Maik wusste das auch. Und Maik sagte “Ich lauf noch mal mit, als Schrittmacher.” So geschah es. Die Zeit war unterirdisch, aber das war nebensächlich. Wichtig war: Der Lauf war absolviert, die “Leistung” konnte abgehakt werden.

Wenn ich heute hinter der Schule vorbeikomme, höre ich keinen Sportlehrerspruch wie “Denk mal drüber nach, warum dich keiner wählt!” oder “Was genau sollte das jetzt darstellen?”. Sondern ich höre Maik sagen “Komm. Ich lauf mit dir.”

Nicht die 1001 schlechten Erinnerungen an den Sportplatz möcht ich mir bewahren, sondern die eine richtig gute.

Danke, Maik.

Neues aus Absurdistan, oder: Jobcenter reloaded (Remix)

Mein Name ist leider nicht Dietmar Wischmeyer und dies ist auch nicht das Logbuch der Reise durch das Land der Bekloppten und Bescheuerten. Obwohl – viel fehlt grad nicht dran.

Gottlob – und das meine ich genau so, wie ich es sage – stehe ich ja seit dem 1. März wieder in Lohn und Brot. Um nicht zu sagen: Ich habe einen traumhaften neuen Job.

Von Rechts wegen stünde mir noch ein ergänzender Leistungsanspruch nach dem SGB II in Höhe von knapp 50 € monatlich zu. Dieser war es mir jedoch nicht wert, mich weiter jeden Monat bis auf den letzten Pfennig vor der Behörde nackig machen zu müssen und gar noch vorher um Erlaubnis zu fragen, wenn ich übers Wochenende nach, sagen wir mal: Fürth, verreisen wollte.

Daher hatte ich zum einen ganz bewußt auf die Stellung eines Fortzahlungsantrags verzichtet; der Bewilligungszeitraum endete am 31. Mai 2013 und sollte der hoffentlich allerletzte in meinen Leben sein. Zum anderen hatte ich mit Schreiben vom 2. April der Behörde mitgeteilt, dass ich auf die mir noch bis Ende Mai ergänzend zustehenden Leistungen verzichte. Auch um Mitteilung eines Kassenzeichens zwecks Rückzahlung der bereits erhaltenen Leistungen für April hatte ich gebeten. Das Schreiben endete mit den Worten:

“Ich melde mich somit dankend aus dem Bezug ab und verbleibe mit freundlichen Grüßen…”

Am 3. Juni 2013, also zwei Monate und einen Tag später, ereilte mich ein Anruf des Job-Centers. An meinem Arbeitsplatz. Während der Arbeitszeit. Es schalmeite mein Handy und eine Sachbearbeiterin des Job-Centers wollte mich nach meiner “beruflichen Situation” befragen, da ich ja immer noch ergänzend Leistungen bezöge. Wenn zu dieser Zeit und an diesem Ort mein Handy bimmelt, gehe ich erstmal davon aus, dass jemand gestorben ist oder doch zumindest vergleichbar Unaufschiebbares vorliegt, das nicht warten kann, bis ich wieder zuhause bin.

Da ich zudem, wie ich es an meinem Arbeitsplatz normalerweise zu tun pflege, gerade mit Arbeiten beschäftigt war und obendrein die ganze Kanzlei mithörte, war ich etwas ungehalten und teilte der Dame mein Unverständnis ob dieses Anrufes mit. Daraufhin meinte sie, wenn ich an die Leistungsabteilung schriebe, wisse sie nichts davon, sie sei Arbeitsvermittlerin. Indes hatte ich wohlweislich ausdrücklich auch namentlich an sie geschrieben. Als sie dann versuchte, mich einzuschüchtern, tat ich das, was ich mir bei zahlreichen ähnlichen Gelegenheiten in der Vergangenheit verkniffen hatte: Ich empfahl der Dame, doch bitte in ihre Akte zu gucken und beendete das Gespräch.

Meine Kollegin meinte hinterher, ich sei ja so unfreundlich gewesen, so kenne sie mich ja gar nicht. Sie hatte recht: Ich war stinkig. Allerdings zu Recht, denke ich.

Ganz offensichtlich war ich aber tatsächlich nicht freundlich genug, um die Sachbearbeiterin zu einem Blick in die Akte zu motivieren. Denn am 5. Juni hatte ich eine “1. Einladung” in der Post. Für den Fall, dass ich dieser nicht Folge leiste, wurde mir eine zehnprozentige Sanktion angedroht. Glücklicherweise kennt meine Kollegin sich mit Prozentrechnung aus und versicherte mir, dass zehn Prozent von nix genau Null ergäben.

Dadurch beruhigt beschloss ich, nach langer und intensiver Abwägung, der freundlichen Einladung nicht Folge zu leisten, sondern lieber auf die Geburtstagsfeier meiner Schwägerin zu gehen. Ich erschien also am 27. Juni am 17:00 Uhr nicht in Zimmer 320 im Jobcenter am Marienfriedhof, sondern kitzelte zu diesem Zeitpunkt meine Nichte. Mal sehen, dachte ich, wann die das merken. Indes wurde ich hinsichtlich der Reaktionszeit der Behörde angenehm überrascht: Bereits am 29. Juni wurde mir eine “Folgeeinladung” und eine “Anhörung zum möglichen Eintritt einer Sanktion” förmlich zugestellt (Das heißt, das ist nicht ganz richtig: Der Brief wurde dem Treppenhaus förmlich zugestellt, ich fand ihn auf den Stufen vor meiner Wohnungstür, als ich zum Einkaufen ging. Die Anteilnahme des ganzen Hauses ist mir sicher.)

In der “Folgeeinladung” heißt es:

“Sie haben mir bisher auch keinen wichtigen Grund mitgeteilt, der Sie daran gehindert hat, den Termin wahrzunehmen.”

Die “Anhörung zum möglichen Eintritt einer Sanktion” führt dazu weiter aus:

“Nach bisherigem Stand sind keine Gründe erkennbar, die dies rechtfertigen.”

Und dann:

“Es ist der tatsächliche Hergang der Ereignisse zu ermitteln.”

Und schließlich:

“Reichen Sie den ausgefüllten Antwortvordruck bitte bis zum 14. Juli 2013 bei Ihrem Jobcenter ein. Anderenfalls muss nach Aktenlage entschieden werden.

Na, dann wollen wir die Aktenlage doch mal zusammenstellen:

1. Am 2. April 2013 hatte ich dem Jobcenter geschrieben. Wohlweislich per Telefax – man macht seine Ausbildung nicht in einer Kanzlei, die sich vorwiegend mit SGB II-Fällen beschäftigt, ohne wenigstens das zu lernen: Wenn du dem Jobcenter schreibst, sorge dafür, dass du’s beweisen kannst. Das Faxprotokoll befindet sich also jedenfalls in *meiner* Akte. (Wenn ich für jedes Mal, das ich von Jobcenterleuten den Satz “Das Schreiben hab ich gar nicht…” gehört habe, nur einen Cent bekommen hätte, wäre ich schon wesentlich früher aus dem Bezug gekommen. Aber das nur am Rande.)

2. Der Bewilligungszeitraum endete am 31. Mai 2013. Ein Fortzahlungsantrag wurde nicht gestellt. Damit war der Eingeladene

3. zum Zeitpunkt des Anrufes der Sachbearbeiterin am 3. Juni 2013 nach keiner möglichen Betrachtungsweise mehr im Bezug von Leistungen und somit weder tauglicher Adressat von Einladungen noch gar von Sanktionen.

Dies alles hätte man bzw.: frau durch einen einfachen Blick in die Akte erkennen können. Idealerweise schon *vor* dem Anruf (auf einem Mobiltelefon auf Kosten des Steuerzahlers, gelle), der dann schon nicht mehr hätte stattfinden müssen. Und wenn schon nicht das, dann doch spätestens, wenn man direkt darum gebeten wird.

Dazu aber hatte besagte Dame keine Lust, sondern sie planschte lieber weiter im Topf mit den Textbausteinen und folgte unreflektiert ihrem starren Schema. Aus ihrer Sicht war ich wohl nur ein weiterer renitenter nichtnutziger Schmarotzer, den sie mit dem Instrumentarium des SGB II zu disziplinieren hatte. Der Gedanke, dass ihr Gegenüber möglicherweise Recht hat, kam ihr überhaupt nicht.
Jedenfalls nicht bis zum 3. Juli. Von diesem Tag datiert das dürre Schreiben, das ich heute erhielt:

“Sehr geehrter Herr ********,

der Termin am 10. Juli 2013 um 8:00 Uhr in Zimmer 320 muss von Ihnen nicht wahrgenommen werden.

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag *******”

Zunächst war ich geneigt, dies mit einem dürren loriotschen “Ach.” abzutun. Auf den zweiten Blick fallen mir daran jedoch mehrere Sachen auf. Das komplette Fehlen einer Begründung geschweige denn: Entschuldigung zunächst mal. Dann ist da die Floskel “Im Auftrag”, die darauf hindeutet, dass sie dieses Schreiben nicht so ganz von sich aus verfasst hat, sondern angewiesen worden ist. Und schließlich frage ich mich natürlich, welchem Umstand ich das nun zu verdanken habe. Dem Jobcenter gegenüber habe ich mich nämlich nicht weiter geäußert. Sollte ich unter meiner spärlichen Leserschaft etwa Mitarbeiter des Jobcenters begrüßen dürfen? Wie war das mit der dienstlichen Nutzung des Internets und der Ausforschung von Leistungsempfängern doch gleich? Ts, ts…

Nun… Kafka hätte seine helle Freude an dem Vorgang. Mir indes bleibt das Lachen immer mehr im Halse stecken, je mehr ich drüber nachdenke. Ich bin ja nun in der glücklichen Lage mich wehren zu können, ohne mich eigentlich noch wehren zu müssen. Das geht aber so vielen anderen nicht so, die dieser hirn- und herzlosen Bürokratie schutzlos ausgeliefert sind. Und das ist der Grund, warum ich hier sitze und dies aufschreibe.

Kafka kichert leise, oder: Jobcenter reloaded, Teil II

Das Job-Center Hildesheim hatte mich zu einem “Gespräch über meine berufliche Situation” eingeladen, obwohl ich inzwischen einen traumhaften neuen Job habe und infolgedessen zum Zeitpunkt der Einladung gar nicht mehr im Bezug stand (Dieser Blog berichtete.). Heute bin ich in der glücklichen Lage, dem geneigten Leser die Fortsetzung präsentieren zu können.

Nach langer und intensiver Abwägung habe ich beschlossen, der freundlichen Einladung nicht Folge zu leisten, sondern lieber auf die Geburtstagsfeier meiner Schwägerin zu gehen. Ich erschien also am vergangenen Donnerstag am 17:00 Uhr nicht in Zimmer 320 im Jobcenter am Marienfriedhof, sondern kitzelte zu diesem Zeitpunkt meine Nichte. Mal sehen, dachte ich, wann die das merken. Indes wurde ich hinsichtlich der Reaktionszeit der Behörde angenehm überrascht: Bereits heute wurde mir eine “Folgeeinladung” und eine “Anhörung zum möglichen Eintritt einer Sanktion” förmlich zugestellt (Das heißt, das ist nicht ganz richtig: Der Brief wurde dem Treppenhaus förmlich zugestellt, ich fand ihn auf den Stufen vor meiner Wohnungstür, als ich zum Einkaufen ging. Die Anteilnahme des ganzen Hauses ist mir sicher.)

In der “Folgeeinladung” heißt es:

Sie haben mir bisher auch keinen wichtigen Grund mitgeteilt, der Sie daran gehindert hat, den Termin wahrzunehmen.

Die “Anhörung zum möglichen Eintritt einer Sanktion” führt dazu weiter aus:

Nach bisherigem Stand sind keine Gründe erkennbar, die dies rechtfertigen.

Und dann:

Es ist der tatsächliche Hergang der Ereignisse zu ermitteln.

Und schließlich:

Reichen Sie den ausgefüllten Antwortvordruck bitte bis zum 14. Juli 2013 bei Ihrem Jobcenter ein. Anderenfalls muss nach Aktenlage entschieden werden.

(Hervorhebung von mir.)

Na, dann wollen wir die Aktenlage doch mal zusammenstellen:

Mit Schreiben vom 2. April 2013 hatte ich dem Jobcenter mitgeteilt, dass ich in Lohn und Brot stehe, auf die mir noch ergänzend zustehenden Leistungen verzichte und mich dankend aus dem Bezug abmelde. Wohlweislich hatte ich das per Telefax übermittelt, das Faxprotokoll befindet sich also jedenfalls in *meiner* Akte. Auch um ein Kassenzeichen zwecks Rückzahlung der bereits erhaltenen Leistungen für April hatte ich übrigens gebeten.

Der Bewilligungszeitraum endete am 31. Mai 2013. Einen Fortzahlungsantrag hatte ich ganz bewußt nicht gestellt.

Am 3. Juni 2013 erfolgte der Anruf der Sachbearbeiterin, der damit endete, dass ich sie bat, in die Akte zu schauen. Zwei Tage später hatte ich die “1. Einladung” im Kasten und begann mich zu fragen, wann sie dies wohl tun würde.

Offenbar hatte sie dazu immer noch keine Lust, sondern planscht lieber weiter im Topf mit den Textbausteinen. Aus ihrer Sicht bin ich nur ein weiterer renitenter nichtnutziger Schmarotzer, den sie mit dem Instrumentarium des SGB II zu disziplinieren hat. Der Gedanke, dass ihr Gegenüber möglicherweise Recht hat, kommt der Dame überhaupt nicht.

Kafka hätte seine helle Freude daran. Mir indes bleibt das Lachen immer mehr im Halse stecken, je mehr ich drüber nachdenke. Ich bin ja nun in der glücklichen Lage mich wehren zu können, ohne mich eigentlich wehren zu müssen, da ich gottlob meine Brötchen wieder selbst verdiene. Das geht so vielen anderen nicht so, die dieser hirn- und herzlosen Bürokratie schutzlos ausgeliefert sind.